2011 „Döner-Morde”

Pressemitteilung der Jury: Wahl des 21. „Unworts des Jahres“

“Mit Döner-Morde wurden von Polizei und Medien die von einer neonazistischen Terrorgruppe verübten Morde an zehn Menschen bezeichnet.

Der Ausdruck steht prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde: Die Unterstellung, die Motive der Morde seien im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/ oder Drogengeschäft zu suchen, wurde mit dieser Bezeichnung gestützt. Damit hat Döner-Mord(e) über Jahre hinweg die Wahrnehmung vieler Menschen und gesellschaftlicher Institutionen in verhängnisvoller Weise beeinflusst. Im Jahre 2011 ist der rassistische Tenor des Ausdrucks in vollem Umfang deutlich geworden: Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.”


 

Stefan Daub, Döner-Morde

Medien sprachen von den „sogenannten Döner-Morden“; aber von wem werden sie denn so genannt?
Wo liegt der Ursprung dieses Ausdruckes? Greift die Presse die latente Fremdenfeindlichkeit der Gesellschaft auf oder erschafft sie sie? Was war zuerst da?

„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ Erich Kästner

www.stefandaub.de


Jan Nouki Ehlers, Döner-Morde

Kurze Sätze! Prägnant! Griffig! Schlagzeile! Verkaufen! Reduzieren! Schubladendenken! Mundgerecht! Nix Denken! Zu Kompliziert! Wesentlich! Besser Verständlich! Jeder muss kapieren! Macht! Meinung! Meinung machen! Moral Ethik!

Türke - Döner. Klar?
German - Kraut. Ok ?
Franzose - Frosch. Klar?
Politiker - Arschloch. Klar?
Promi - Schicksal. Klar?
Arschloch oder Opfer - Wir entscheiden.
Nachrichten werden zu mundgerechten Happen reduziert.
Jeder soll es schlucken ohne nachzudenken - die Schlagzeile funktioniert nur mit Vereinfachung, Reduzierung, Schubladendenken und Vorurteilen. So kommen Wortkonstrukte wie Döner-Morde zustande.

Wir haben nur 2 Nachrichten – SCHWARZ oder WEISS jeden Tag – nur die Überschrift ist verschieden. Der nächste Tag kommt, die nächsten Schlagzeilen kommen ... die Nachricht bleibt. Ich bin mir bewusst, dass ich mit dieser Aussage über den gesamten Journalismus urteile.

Denn ich mache den gleichen Fehler - um ihn Euch zu zeigen!

www.janehlers.net


Julia Essl, Döner-Morde

Worum geht es hier eigentlich? Mal überlegen:
Döner haben keine Meinung, Döner haben keine Rechte, Döner haben keine Persönlichkeit,
Döner haben keine Seele, Döner haben keine Angst, Döner haben kein Gewissen,
Döner haben keine Familie, Döner gründen auch keine Familie, Döner haben keine Gefühle,
Döner hinterlassen niemanden, Döner lieben nicht, Döner empfinden keinen Schmerz,
Döner weinen nicht, Döner lachen nicht, Döner vermissen nicht,
Döner gehen nicht zur Arbeit, Döner haben keine Erfolge, Döner haben keine Niederlagen,
Döner haben keinen Stolz, Döner haben keine Ehre, Döner haben keinen Willen,
Döner haben keinen Glauben, Döner haben kein Herz, Döner leiden nicht, Döner schlafen nicht, Döner haben keinen Hunger, Döner haben keinen Durst,
Döner können nicht um Hilfe schreien, Döner sind nicht gewalttätig, Döner empfinden keinen Hass, Döner werden nicht bedroht, Döner werden nicht ermordet,
Döner werden nicht begraben.

Aber: Döner passen in eine Schublade! Also: Worum geht es hier eigentlich?

WWW.JULIAESSL.DE


Albrecht Haag, Döner-Morde

links: Alias Enver S.
Das Perfide an den Morden des »Zwickauer Trios« ist die Auswahl der Opfer: »Sie konzentrierten sich dabei auf „unarische“ Männer „im zeugungsfähigen Alter“, wie es in den Notizen heißen soll.« Es braucht wenig, um in das Raster der Täter zu passen.

rechts: Alias Uwe B.
Erschreckend finde ich weiterhin, wie scheinbar normal und eigentlich unauffällig – rein äußerlich – die Mörder daherkommen. Sicherlich sehe ich mich heute nicht in dieser Rolle – aber ich frage mich, wo und wie leicht im Lebensweg die Entscheidung zu einer mörderischen Karriere getroffen wird.

Und Drittens:
Es ist immer wieder der eigene Kopf, der einen in die Falle einer Schublade oder eines Klischees tappen lässt. Das vorschnelle Einrasten auf die Kategorie »Döner-Morde« ist der verwerfliche Akt dieser Tragödie. Der fotografische Selbstversuch ist leider keine Lösung für derlei Verstrickungen.
Die Herausforderung ist, den Kopf jederzeit und zukünftig für neue Einsichten offen zu halten und nicht in die nächste Falle zu tappen.

www.albrecht-haag.de


Jens Steingässer, Döner-Morde

Die Entwicklung der Sprache bedeutet einen Meilenstein im Mensch-Sein. Sie ermöglicht es, sich verbal über reale Dinge auszutauschen, Sachverhalte zu erklären und Phänomene zu definieren...

Vieles bekommt durch verbales Äußern erst einen Sinn. Jede Medaille hat allerdings bekanntlich zwei Seiten: Sprache funktioniert über die Benutzung von abstrakten Begriffen, die immer nur durch Abgrenzung pauschalisieren können - ohne die ANDEREN kein WIR, ohne LINKS kein RECHTS, ohne DUNKEL kein HELL!

Die Wirklichkeit ist jedoch alles andere als das - dort gibt es keine Schubladen!

www.jens-steingaesser.de


Andreas Zierhut, Döner-Morde

links: Tatort #9
Holländische Straße 82, Kassel
Hier betrieb Halit Yozgat bis zum 6.4.2006 ein Internet-Café. Er wurde mit zwei Schüssen in den Kopf getötet und starb 21-jährig in den Armen seines Vaters. Den Eltern wurde gesagt, Halit sei in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen.

rechts: Tatort #8
Mallinckrodtstraße 190, Dortmund
Hier wurde am 4.4.2006 Mehmet Kubaşik in seinem Kiosk ermordet. Der 39-jährige Familienvater hinterließ drei Kinder. Seine Frau wurde als Verdächtige verhört.

www.andreaszierhut.de