2023 Remigration

  • „Remigration”

    Der Ausdruck Remigration ist ein vom lat. Verb remigrare (deutsch ‚zurückwandern, zurückkehren‘) abgeleitetes Fremdwort. Das Wort ist in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden.

    Die Jury kritisiert die Verwendung des Wortes, weil es 2023 als rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Aus-druck gebraucht wurde. Der aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff, der verschiedene, vor allem freiwillige Formen der Rückkehr umfasst (darunter die Rückkehr jüdischer Menschen aus dem Exil nach 1945), wird bewusst ideologisch vereinnahmt und so umgedeutet, dass eine – politisch geforderte – menschenunwürdige Abschiebe- und Deportationspraxis verschleiert wird. Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen. Das, was mit der Verwendung des Wortes gefordert wird, verletzt freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte.

    Das Eindringen und die Verbreitung des vermeintlich harmlosen und beschönigenden Ausdrucks in den allgemeinen Sprachgebrauch führt zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen.

    Der diesjährige Gastjuror Ruprecht Polenz kommentiert die Verwendung und Wahl des Ausdrucks zum Unwort folgendermaßen:

    „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Natio-nalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum „Unwort des Jahres“ sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.”

 

Stefan Daub

Was heute gesagt wird, sorgt mich – was für morgen gemeint ist, macht mir Angst.

 
 

 

Nouki

Das Konzept
Es ging mir diesmal darum, das Unwort so objektiv wie möglich darzustellen – ohne dabei meine eigene Sicht und Vorbildung einfließen zu lassen. Deshalb entstand diese Arbeit ohne Kamera. Ich habe nur Worte benutzt und die Künstliche Intelligenz damit gestalten lassen:
Die KI wurde für das eine Bild mit Keywords aus der Wannseekonferenz von 1942 gebrieft und für das andere Bild mit diversen Zitaten aus dem Jahr 2023 von AfD-Mitgliedern und Identitären zum Thema Remigration.

Die technische Umsetzung
Beide Bilder wurden mit LeonardoAI erstellt.
Prompt: entsprechend dem Bild
Seed: entsprechend dem Seed
Model Leonardo Diffusion XL
Preset: Cinematic
Pipeline: Alchemy V2
Upscaled: TopazAI

Beide Bilder haben als Grundlage folgende prompts:
very large group of people of all ages and gender, outdoor.

Danach haben beide Bilder ihre eigenen prompts, die in der
Bildunterschrift stehen.

Vielen Dank an Alexander Stefas für die Umsetzung meines Konzeptes.

Bild 1: Wannsee
very large group of people of all ages and gender, outdoor

separated according to gender,
expulsion,
work duties,
evacuation,
natural reduction,
expropriation,
forced emigration,
large work columns,
attrition by natural causes

Bild 2: Potsdam
very large group of people of all ages and gender, outdoor

complete expulsion,
the great replacement
non ethnically European immigrants,
repatriation,
forced return,
repopulation,
ethnic cultural homogeneity

 
 

 

Julia Essl

„Remigration“

Was, wenn eine „Remigration“ (so, wie sie von Rechtsnationalen und Rechtsextremisten im November 2023 in Potsdam diskutiert wurde) wirklich stattfindet?

Etwa 25 Prozent der Bevölkerung Deutschlands haben eine Migrationsgeschichte.

Wie sieht das denn eigentlich in meinem Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis aus? Zu sehen sind Portraits von Menschen aus meinem persönlichen Umfeld. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte.

 
 

 

Albrecht Haag

„Remigriert Euch ins Knie”

Wovon träumen eigentlich Rechtsextreme und Rechtsnationale, wenn sie einen großen Teil unserer Mitmenschen mit kruden Begründungen remigrieren wollen? Ich wollte mir anschauen, wie ein solches selbst gewähltes „Leben unter sich“ aussehen könnte und habe „Musterdorf Nazi“ gegoogelt. So kam ich auf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern nahe der Ostsee. Ein sehr kleines Dorf mit 35 Einwohnern und 95 Prozent rechtsextrem gesinnten Menschen.

Bekannt wurde das Dorf 2015 durch einen Brandanschlag auf die Scheune auf dem Gelände des Ehepaares Birgit und Horst Lohmeyer. Die beiden bleiben trotz zahlreicher Übergriffe standhaft und wollen nicht weichen. Mit dem seit 2007 jährlich veranstalteten Musikfestival „Jamel rockt den Förster“ holen sie neben vielen bekannten Bands auch zahlreiche Sympathisanten als kulturelles Gegengewicht ins Dorf.

 
 

 

Jens Mangelsen

Die Wannseekonferenz war eine Besprechung am 20. Januar 1942 in der ehemaligen Villa Marlier am Großen Wannsee in Berlin. Hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden kamen zusammen um die Deportation der jüdischen Bevölkerung zu besprechen.

Das Treffen in Potsdam war eine Besprechung am 25. November 2023 in der ehemaligen Villa Adlon am Lehnitzsee in Potsdam. Mitglieder von AfD, CDU, des Vereins Werteunion sowie der Identitären Bewegung kamen zusammen, um unter anderem einen „Masterplan zur Remigration“ zu besprechen.

 
 

 

Sebastian Reimold

„Remigration“

Auszug aus einem Interview, das die TV-Journalistin Alexa Schulz für die Aktuelle Kamera mit der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer im November 2023 führte:

WDR:

Sie sind mit 88 Jahren zurück nach Deutschland gekommen und sprechen viel mit jungen Menschen. Was sagen Sie denen?

Friedländer:

„Was gewesen ist, können wir nicht ändern. Ich bin zurückgekommen, um mit euch zu sprechen, euch die Hand zureichen. Aber euch zu bitten, dass ihr die Zeitzeugen sein sollt, die wir nicht mehr lange sein können. Was war, können wir wie gesagt nicht ändern. Es darf nur nie wieder geschehen. Es ist in eurer Hand, dass Ihr vorsichtig seid.“

Am 10.01.2024 veröffentlichte der Abgeordnete des Bundestages und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion René Springer auf der Social-Media-Plattform „X“ folgendes Statement:

 „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein #Geheimplan. Das ist ein Versprechen. Für mehr Sicherheit. Für mehr Gerechtigkeit. Für den Erhalt unserer Identität. Für Deutschland.“

 
 

 

Jens Steingässer Aziz Wakim

„Mein diesjähriges Foto-Konzept zum Thema „Remigration" ist, eine abstrakte Dynamik in unserer Unwort-Gruppe genau so zu „konstruieren“, wie sie in unserer Gesellschaft – momentan stellenweise – empfunden und lautstark vertreten wird:

Es gibt viele Menschen (zu denen ich explizit NICHT gehöre), die Folgendes behaupten würden:
„Wir (die homogene deutsche Gesellschaft) werden durch die Masse an Menschen mit Migrationshintergrund dahingehend bedroht, dass unsere Kultur, unsere Arbeitsplätze, ja, auch unsere „Regeln“ und „Gewohnheiten“ immer weiter verdrängt werden."

Konkrete Umsetzung meines Konzeptes: Aziz Wakim verdrängt mich und nimmt meine Bildfläche ein, er „raubt" mir die „Arbeit“ und ersetzt als „Neuankömmling" meinen Platz in einer „alteingesessenen“ Gruppe.”

Jens Steingässer

Aziz Wakim

Das diesjährige Unwort „Remigration“ ist ein Euphemismus. Es wurde von einer menschenverachtenden Gruppe rechtsnationaler Ideologen und Aktivisten als verharmlosendes Synonym für Deportation „umgedeutet“. Mit der Idee, es so in den allgemeinen Sprachgebrauch einfließen zu lassen, soll auch die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund langfristig zu einer „normalen“ politischen Vision werden.

Ursprünglich steht der soziologische Begriff für die Rückwanderung von Menschen, die nach einer längeren Zeitspanne in ihre Herkunftsregion zurückkehren. „Remigration“ findet sich in diversen politischen Kontexten, die primär weder faschistisch noch hetzerisch sind.

Aus diesem Gedanken möchte ich den Begriff erneut oder eben „auch“ umdeuten und ihn in einer ganz anderen Facette zeigen. Vielleicht auch, weil seine gefälschte Bedeutung nicht in unseren Köpfen verbleiben darf: inForm der Brieftaube als Bild für Rück- und Heimkehr. Ungehindert bringt sie Nachrichten über Grenzen hinweg. Seit Jahrtausenden wird sieauch politisch und militärisch motiviertzum Verbreiten von Informationen eingesetzt, da sie immer wieder nach Hause findet. Sie könnte auch den Austausch von Kulturen, Identitäten und Erfahrungen zwischen verschiedenen Orten repräsentieren. Ihre symbolische Bedeutung als Friedenstaube sei noch als Randnotiz erwähnt.

www.azizwakim.de

 
 

 

Rahel Welsen

„Abgestempelt“



Modelle: Birgit und Luca

 
 

 

Andreas Zierhut

„Gespenster der Vergangenheit”

Die folgenden Zitate stammen aus dem Bericht des Recherche-Netzwerks „Correktiv“ zur Vertreibungsplanung beim Treffen rechtsnationaler Ideologen und Aktivisten in Potsdam am 25. November 2023 [ergänzende Erklärungen dazu in eckigen Klammern]:

[Der österreichische Rechtsextremist Martin] Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“.

Sein  Verkaufsargument [des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund], ganz im Sinn des „Masterplans“: Das Straßenbild müsse sich ändern, ausländische Restaurants unter Druck gesetzt werden. Es solle in Sachsen-Anhalt „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“.