2020 Corona-Diktatur & Rückführungspatenschaften

 

Pressemitteilung der Jury: Wahl des 29. „Unworts des Jahres“

„Das Jahr 2020 ist in bisher kaum gekannter Weise von einem einzigen Thema geprägt worden, der Corona-Pandemie. Dadurch war auch der öffentliche Diskurs lange Zeit auf dieses eine Thema konzentriert.

Mit der erstmaligen Wahl eines Unwort-Paares nimmt die Jury Rücksicht darauf, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit wie in den Unwort-Einsendungen dominierte. Sie macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass auch in anderen Themenbereichen weiterhin inhumane und unangemessene Wörter geprägt und verwendet werden.

Als Unwörter des Jahres 2020 wurden daher „Rückführungspatenschaften“ und „Corona-Diktatur“ gewählt. Mit dieser Doppelwahl will die Jury zudem erneut verdeutlichen, dass die „Unwort-Wahl“ keineswegs als Zensurversuch zu verstehen ist, wie ihr gelegentlich unterstellt wurde, sondern als Anlass zur Diskussion über den öffentlichen Sprachgebrauch und seine Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben.

Mit „Rückführungspatenschaften“ (41x vorgeschlagen) wurde im September 2020 von der EU-Kommission ein neuer Mechanismus der Migrationspolitik bezeichnet: Die EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen ihrer „Solidarität“ mit den anderen Mitgliedern der EU dadurch gerecht werden, dass sie die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen.

Dies als „Rückführungspatenschaften“ zu bezeichnen, hält die Jury für zynisch und beschönigend: Der ursprünglich christlich geprägte, positive Begriff der Patenschaft steht für Verantwortungsübernahme und Unterstützung im Interesse von Hilfsbedürftigen. In der Zusammensetzung mit dem – ebenfalls beschönigend für „Abschiebung“ gebrauchten – Wort „Rückführung“ wird suggeriert, „dass Abschieben eine gute menschliche Tat“ (Zitat aus einer Einsendung) sei.“

Das Wort „Corona-Diktatur“ (21x vorgeschlagen) wurde seit Beginn des öffentlichen Diskurses um den politischen Umgang mit der Pandemie von der selbst ernannten „Querdenker“-Bewegung und insbesondere von deren rechtsextremen Propagandisten gebraucht, um regierungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu diskreditieren. Dass der Ausdruck auf Demonstrationen verwendet wird, die – anders als in autoritären Systemen! – ausdrücklich erlaubt sind, stellt schon in sich einen Widerspruch dar. Zudem verharmlost der Ausdruck tatsächliche Diktaturen und verhöhnt die Menschen, die sich dort gegen die Diktatoren wenden und dafür Haft und Folter bis hin zum Tod in Kauf nehmen oder fliehen müssen. Dies erscheint umso problematischer, als das Schlagwort oft von denen verwendet wird, die – wie es in einer Einsendung heißt – „ja selbst und zum Teil ganz offen auf die Abschaffung der bürgerlichen Freiheiten und der sie repräsentierenden Verfassung zielen“.

Der Ausdruck macht es zudem schwieriger, berechtigte Zweifel an einzelnen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie offen und konstruktiv zu diskutieren.”

Auszug aus der Pressemitteilung vom 12.01.2021

Prof. Dr. Nina Janich, Sprecherin der Jury, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, TU Darmstadt


 

Stefan Daub


„Corona-Diktatur“

Wo Querdenker versuchen, sich der Deutungshoheit der Sprache zu bemächtigen, sich Begriffe zu eigen machen und neu- oder umdeuten, da bleibt das Bild weiterhin frei deut- und interpretierbar. Trotz ihrer Versuche, die Maske als Erkennungszeichen für “Systemhörige” zu stigmatisieren, bleibt sie für mich das Symbol der Solidarität; ein Sinnbild für das gesellschaftliche Miteinander, die Goldene Regel.

Ich möchte den Ignoranten und Leugnern dieses Symbol nicht überlassen - ich lasse sie es nicht zum Bild für Unterdrückung und Diktatur machen. Vielmehr verknüpfe ich es mit allem Positiven, mit dem Respekt vor meinen Mitmenschen und dem Wir-Gefühl, als Pfeiler einer funktionierenden, solidarischen Gesellschaft.

Die fast leere Toilettenpapierrolle wurde für mich zur Parabel des selbst gemachten Mangels. Ein Mangel an Fairness, Miteinander und sozialer Kompetenz. Während Diktaturen die Verfügbarkeit von Konsumgütern gezielt kontrollieren und beeinflussen, sind unsere leeren Supermarktregale einzig durch uns selbst verschuldet. Hier ist keine Diktatur am Werk. Durch unsere übertrieben egoistischen Bedürfnisse und ein “Ich-zuerst”-Denken haben wir uns die Knappheit selbst zu verdanken.

Die beiden Fotografien sind Fotogramme. Hierfür wird direkt auf ein lichtempfindliches Material belichtet. Im Gegensatz zur klassischen Fotografie oder Luminografie wird dabei keine Kamera verwendet.

Ein Besinnen auf das Wesentliche wurde für mich in einer Zeit der Beschränkungen, von Lockdown und Isolation, von Verzicht und Reduzierung immer bedeutender. Das “Was braucht es wirklich?” bringt mich zur technisch reduziertesten und ursprünglichsten Form der Abbildung, dem Schatten.


www.stefandaub.de


 

Nouki

Rückführungspatenschaften

Die EU verlangt von ihren Mitgliedsstaaten ein solidarisches Handeln und kann Länder wie Ungarn gegebenenfalls durch Sanktionen dazu „zwingen“ mitzumachen. Das Problem ist hier jedoch, dass Ungarn auf die Schützenhilfe weiterer rechtspopulistisch regierter Staaten wie Polen, Slowakei und Tschechien zählen kann. Diese drohen der EU im Falle einer Sanktion gegen Ungarn damit, bei essenziellen Beschlüssen, wie dem dringend einstimmig zu beschließendem Corona-Hilfe-Paket, ihre Stimme zu verweigern. Auch ein etwaiger Ausschluss Ungarns aus der EU muss ebenfalls einstimmig erfolgen. So macht sich die EU erpressbar und handlungsunfähig. Damit aber die Grenzstaaten, die am meisten von der hohen Zahl an geflüchteten Menschen belastet sind, nicht „alleine“ gelassen werden, hat die EU eben für diese Staaten ein Alternativkonstrukt mit dem Namen „Rückführungspatenschaft“ erfunden. Bei deren Übernahme jeder Mitgliedsstaat sowohl seiner EU-Verantwortung gerecht wird als auch sich gegenüber dem eigenen Volk als starke Partei darstellen kann. Dies geschieht alles auf dem Rücken der Geflüchteten und deren Menschenrechten.

Auf dem Bild sieht man Jesus inmitten derer, die christliche Werte zu ihren Gunsten predigen, diese aber nicht leben. Jesus ist unter ihnen, aber er wird nicht gehört. Er wird wie ein Symbol in der Mitte präsentiert, aber in Wirklichkeit verbindet ihn mehr mit den Geflüchteten, die unter dem Tisch den Populisten als Stühle dienen, als mit denen, die mit ihm am Tisch sitzen. Der Esel ist übrigens József Szájer, der ungarische, homophobe und erzkonservativ auftretende Politiker, der während des ersten Lockdowns in Brüssel auf einer illegalen homosexuellen Gang-Bang-Party mit einem Rucksack voller Drogen erwischt wurde. Alle dargestellten Tiere entstammen der mitteleuropäischen Mythologie und tragen mitunter negative Charakterzüge. Ja, auch der Fuchs. Lest es selbst nach.

Zum Technischen: Dieses Bild wurde unter Einhaltung der aktuell geltenden Corona-Vorgaben (AHA+L-Regel & Vorab-Antigenschnelltests) analog und ohne digitale Bildkompositionen fotografiert. Die Pappmaché-Tiermasken wurden alle in Zusammenarbeit mit der Maskenbildnerin Melanie Wagner aus Dresden extra für dieses Projekt erstellt. Der Rabe ist von Jule Lenz angefertigt.

Ich bedanke mich herzlichst bei: Melanie Wagner (Maskenbild), Jule Lenz, Jana Grothe (Dokumentation), dem Staatstheater Darmstadt (Requisiten), Thilo Hofer (fotogena Darmstadt), Stephan Braubach (Assistenz), DAXL (Licht), Phina Ehlers, Youness Marzouki, Abdallah Abdelwahab, Moritz Schiemann, Lara Mergel, Rami, Robert Herz, Maria Weiss, Petra Blank, Olaf Heinrichsen, Max Schneider, Florian Hierer und dem Sado-Maso-Mann aus Brüssel.

Fotografiert mit Fuji GW690 auf Kodak T-Max 100


www.janehlers.net


 

Julia Essl

„Corona-Diktatur“

Es gibt eine Gruppe von Verschwörungs-Ideolog*Innen, die glaubt, von Covid-19 gehe keine Gefahr aus, existiere eventuell gar nicht. Diese Gruppe ist außerdem der Meinung, dass die regierungspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie darauf abzielen, das demokratische System abzuschaffen und uns unserer bürgerlichen Freiheiten zu berauben. Da frage ich mich, was wollen diese Menschen? Wer so hart und unverhältnismäßig kritisiert, will es am Ende selbst? Was ist aus der Macht des Zusammenhaltes und der Solidarität geworden?

Diejenigen, die diese Krise als ein diktatorisches Werkzeug betrachten, verhalten sich meiner Meinung nach ihren Mitmenschen gegenüber unsolidarisch, indem sie zum Beispiel den Abstand nicht wahren oder provokativ eine durchlöcherte Maske oder gar keine Maske tragen. Sie gehen mit ihrem Verhalten ein Risiko ein und tragen in keiner Weise dazu bei, aus dieser Krise herauszukommen. Im Gegenteil, diese Form der Manipulation, die von den Verschwörungs-Ideolog*Innen ausgeht, birgt sowohl die Gefahr physischer Erkrankungen, als auch der mentalen Verblendung seiner Mitmenschen. Was, wenn die Krankenhäuser doch noch überlastet werden und wir, ähnlich wie es in Brasilien schon der Fall ist, um Sauerstoff anstehen müssen, weil unsere Familienmitglieder zu Hause keine Luft mehr bekommen?

Das bedrückende Gefühl, wie schwer eine Erkrankung an Covid-19 verlaufen kann, stelle ich symbolisch mit einer Beatmungspatientin dar. Diese Frau ist nicht an Covid-19 erkrankt, sie muss aus anderen Gründen voll beatmet werden. Eine Covid-19 Patientin oder einen Covid-19 Patienten hätte ich vermutlich gar nicht fotografieren dürfen, und ich wäre auch nicht bereit gewesen, mich der Gefahr auszusetzen. Deshalb steht diese Frau als Symbol für einen an Covid-19 erkrankten Menschen, der voll beatmet werden muss. In dem Kontext werden die Ernsthaftigkeit und die Schwere des Themas in jeglicher Hinsicht trotzdem transportiert. Der Blick nach draußen in den Garten steht symbolisch dafür, dass das demokratische Leben weitergeht, was in einer Diktatur nicht möglich wäre.

Danken möchte ich Margit Baumann, Hamida und Familie Yilmaz



www.juliaessl.de


 

Albrecht Haag

„Rückführungspatenschaften“

Den Begriff „Rückführungspatenschaften“ sollte man auch ernst nehmen dürfen: Nette, hilfsbereite Menschen retten Flüchtende und bringen sie zurück in eine „sichere, humane Gesellschaft“.

Inspiriert zu dieser Vorstellung haben mich die Aktionen von SEA WATCH, z.B. auch die Entscheidung von Kapitänin Carola Rackete in 2019, den Hafen von Lampedusa mit einem Boot voller Geretteter anzusteuern. Sie ist für mich das Sinnbild einer Patin – mit der Entschlossenheit, das Leben und die Gesundheit von Schutzlosen über menschenverachtende Anordnungen der EU zu stellen.

Die Bewegung SEEBRÜCKE hat sich Ende Juni 2018 gegründet, als die „Lifeline“ mit 234 Menschen an Bord tagelang auf hoher See ausharren musste und in keinem europäischen Hafen anlegen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits mehrere Städte und Länder angeboten, die Menschen von der „Lifeline“ aufzunehmen. Darmstadt hat sich dieser Initiative der Seebrücke angeschlossen.

Der Anlegesteg des Woogs ist für mich ein schönes Symbol für einen „sicheren Hafen“. Die Stadt Darmstadt hat sich selbst zu einem solchen erklärt, doch aus Sicht der Seebrücke-Aktivist*innen bedeutet das mehr, als nur den Titel zu tragen: Ein sicherer Hafen bedeutet (auch) sichere Bleibeperspektiven, keine Abschiebehaft und kein Racial Profiling – alles Aspekte, die in Darmstadt noch nicht umgesetzt werden. Dass es diese Aktivist*innen hier vor meiner Tür in Darmstadt gibt, freut mich nicht nur außerordentlich, sondern zeigt auch, dass das eigene Handeln viel einfacher starten kann. Stellvertretend sind Malena, Paula und Xaver zu sehen.


www.albrecht-haag.de


 

Jens Mangelsen

„Corona-Diktatur“

Die gefühlte Diktatur

Der Begriff Corona-Diktatur erhebt den Vorwurf der Unterdrückung durch den Staat. Die Situation wird von einigen Menschen als unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Grundrechte wahrgenommen. Ein offener Diskurs unter Einbeziehung und Anerkennung verschiedener Sichtweisen findet kaum statt. Vielmehr wird die eigene Denkweise von Gleichgesinnten gespiegelt, bestägtig und verstärkt. Es ist die nahezu ausschließliche Reflexion auf sich selbst und die eigenen Denkmuster, die Begriffe wie Corana-Diktatur entstehen lassen.


www.jeyoh.photography


 

Sebastian ReimolD

„CORONA“ – „DIKTATUR”?

Corona – ja. Wir haben es mit einem Virus zu tun, das sich leider zu einer Pandemie ausgewachsen hat. Seit über einem Jahr ist unser Leben durch starke Einschränkungen geprägt. Die Regierung hat Maßnahmen beschlossen, die wissenschaftlichen Empfehlungen folgten und sie hat sicher auch einige Fehler gemacht. Aber befinden wir uns deshalb in einer Diktatur?

Diktatur – nein. Alexander Gauland behauptete zwar im Oktober 2020 im Bundestag, wir befänden uns in einer „Corona-Diktatur auf Widerruf”. Aber dies trifft natürlich nicht zu und ist eine Verdrehung der Tatsachen. Das wesentliche Element einer Diktatur ist die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung durch eine kleine Gruppe. Diktaturen bedienen sich der Macht des Militärs sowie eines Geheimdienstes, der das eigene Volk bespitzelt.

In der DDR geschah all dies. Der ganze Staat war von einem weit verzweigten Geheimdienstnetz (Stasi) durchsetzt, das die eigene Bevölkerung bespitzelte. Zum angeblichen Schutz des Volkes wurde im Westen der DDR ein „antifaschistischer Schutzwall” errichtet, der das eigene Volk an der Ausreise oder Flucht hinderte. Wer an der Grenze die Hinweistafeln auf den „Schutzstreifen” nicht ernst nahm und eine Flucht wagte, wurde entweder gefasst und kam jahrelang in Isolations haft, oder wurde an der Grenze von Selbstschussanlagen oder Soldaten der Nationalen Volksarmee erschossen.

Um die Spuren einer Diktatur näher zu erleben, empfehle ich einen Besuch beim Deutsch-Deutschen Grenzmuseum in Mödlareuth, dem ich für die Fotoerlaubnis danke.

Die freie Meinungsäußerung ist in der Bundesrepublik Deutschland ein hohes Gut. Auch bei einer Demonstration der sogenannten „Querdenken”-Bewegung im November 2020 in Göppingen, die mit hohem Polizeiaufgebot geschützt wurde, konnte man dies erleben: Beleidigende Plakate mit Abbildungen von Virologen und Politiker*Innen in Häftlings-Kleidung, die zuvor von Demonstrierenden durch die Stadt getragen wurden, mussten zwar auf Ansage der Polizei am Versammlungsplatz heruntergenommen werden, durften aber später wieder mit nach Hause genommen werden.

Dem Publikum erklärte derweil ein Schwindelarzt aus Sinsheim, dass es sich bei Corona zwar um ein gefährliches SARS-COV2-Virus handele, aber Masken gegen die Verbreitung nutzlos seien. Dies ist völlig haltlos: Wissenschaftlich ist genau das Gegenteil erwiesen.

Der gleiche Arzt versuchte bei einer Aktion am 21.10.2020 in Darmstadt, Schüler*Innen davon zu überzeugen, auf das Tragen von Masken zu verzichten. Wie man dies als Arzt mit dem abgelegten hippokratischen Eid in Einklang bringen kann, ist für mich nicht nachvollziehbar.


www.sebastian-reimold.de


 

Jens Steingässer

„Inszeniertes Stillleben“

Jeder lebensgefährliche Fluchtversuch über das Meer ist ein Zeichen für die inhumane und katastrophale Migrationspolitik der EU, die mittlerweile mit einer massiven „Aufrüstung“ von FRONTEX einhergeht. Am Ostsee-Strand von Wustrow frage ich mich, was in der europäischen Politik anders entschieden werden würde, wenn an allen Stränden der EU regelmäßig Schlauchboote mit Flüchtlingen anlanden würden.

Vor 40 Jahren diente ebendieser Strand DDR-Bürgern für nächtliche Fluchtversuche im Faltboot.

„Rückführungspatenschaften“

„Inszeniertes Portrait“

Gerald Knaus ist Gründungsdirektor des Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) in Berlin. Er ist ein international bekannter Experte und berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er gilt als Vordenker der „EU-Türkei-Erklärung“ vom März 2016 und plädiert für einen humanitären Dreiklang aus schnellen und fairen Asylverfahren, strategischen Abschiebungen und großzügiger Hilfe für Erstaufnahmeländer, kombiniert mit der Ausweitung legaler Mobilität für Herkunftsländer. Private Patenschaften für umgesiedelte Flüchtlinge wie in Kanada sollten auch hierzulande gefördert werden.


www.jens-steingaesser.de


 

Rahel Welsen



Diktatur

Nach einem anstrengenden Tag auf einer Kundgebung gegen irgendeine Diktatur auf diesem Globus endet der Abend schmerzhaft in der kalten Zelle.

(Sicherheitskräfte haben den Demonstrationszug gewaltsam aufgelöst und Dutzende Oppositionelle verhaftet und misshandelt.)

Maske: Laura Hingst, Modell: PH Gruner

„Corona-Diktatur“

Corona-Diktatur

Nach einem anstrengenden Tag auf einer Querdenken-Demo irgendwo in Deutschland klingt der Abend im gemütlich warmen Bett angenehm aus.

(Polizeibeamte haben den Demonstrationszug begleitet und das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gesichert.)

www.rahel-welsen.de


 

Andreas Zierhut

Wohin des Wegs?

Die Positionen zu Migration und Asyl sind vielfältig und scheinen unvereinbar. Doch die Familie Europa tut alles, um über diesem Streit nicht auseinanderzubrechen. Dazu gehört auch, dass wir Menschen in Moria und auf dem Mittelmeer verrecken lassen oder kompromisslosen Rechtspopulisten „Rückführungspatenschaften“ anbieten. Bei Rückführungspatenschaft - anders als mich der Begri im ersten Moment vermuten ließ - geht es nur sekundär um die Situation migrierender Menschen. Vielmehr sieht die EU Handlungsbedarf im Binnenverhältnis der Staaten untereinander: „Patenschaften“ als Teil der gegenseitigen Solidarität können jene Länder übernehmen, die auf keinen Fall Flüchtlinge aufnehmen wollen - für solche, die ihre Dublin-bedingten Flüchtlingsmengen nicht bewältigen können. Die komplexen Lagen und emotionalen Auseinandersetzungen sehe ich nicht nur im Verhältnis der Staaten untereinander. Vielmehr erkenne ich hinter dem Handeln der EU grundsätzliche Positionen, die sich weder an Grenzen noch an Situationen festmachen lassen: Sie nden sich überall und auf allen Ebenen.

1 Mensch, 7 Positionen

Gegenüber dem Menschen auf der Flucht habe ich sieben europäische Positionen ausgemacht, die ich in einer Art „Familienaufstellung“ zusammenbringe und in ein Verhältnis zueinander setze: vier politische Haltungen zur Migration und drei zu Europa.

4 Positionen zu Migration

Zunächst sehe ich aktive und explizite politische Haltungen zur Migration: Auf der einen Seite eine rechtspopulistisch verortete, kompromisslos ablehnende Haltung zum Asylrecht. Auf der anderen eine Willkommenskultur, die aktiv für demokratische und humanistische Werte eintritt. An diese ausgeprägten Positionen schließen sich die eher passiven Haltungen der deutlich zahlreicheren bürgerlichen Mitte an: die eine ablehnend, mit Angst vor Überfremdung und Verlust nationaler Identität, die andere eher aufnehmend, weitgehend Asylrecht und demokratische Prozesse akzeptierend.

3 europäische Positionen

Hinter solchen Standpunkten zum ema Migration steht die Position Europa: die Idee, dass unabhängige Nationalstaaten sich eng zusammenschließen, um gemeinsam hochgesteckte Ziele zu erreichen. Ein schöner Gedanke, ein gewaltiges Projekt, für das auch Opfer gebracht werden. So kommt es, dass die EU nicht nur eine weiße Weste hat. Untrennbar eng mit der Idee „Europa“ verbunden sind die gemeinsamen hehren Werte: Friede, Demokratie und Wohlstand für alle. Nach denen zu streben sich lohnt, auch wenn sie kaum eine Chance haben, in ihrer Reinheit wirklich gelebt zu werden. Und nicht zuletzt auch der Teil Europas, für den es in einem Staatenbund eigentlich keine eigene Position geben dürfte: Länder und Menschen, die hängen gelassen werden.

Danke, an Nike-Marie und das Bürger:Innen-Ensemble, an Jan, an Gabi Falk Casting mit Matthias, Ursula und Andreas, an Haghele und an Kultur einer Digitalstadt, an Jeanine, Lennart, Laura und Doro, Amin und Ruja.